Maria Magdalena in Flammen!

 Von Oliver Steinke

 

Mittelalterliche Wandmalereien

in der Lambrechter Kirche

Gibt es eine Verbindung des früheren Klosters

zu den Tempelrittern ?

Haben die Autoren Lincoln, Baigent und Leigh mit einigen Thesen ihres skandalumwitterten Werkes Der heilige Gral und seine Erben doch Recht? In diesem 1982 erschienenen Buch, das später von Dan Brown aufgegriffen und dessen Inhalt im Blockbuster Sakrileg verfilmt wurde, behaupten sie, Maria Magdalena sei nicht nur die wichtigste Jüngerin Jesu gewesen, sondern vielmehr seine Frau. Es habe Kinder gegeben und ihre gemeinsamen Nachfahren wären unter anderem in der fränkischen Merowinger Dynastie aufgegangen. Zudem hätte es Kreise gegeben, die um dieses Geheimnis wussten, und als Hauptverdächtige stehen dann auch gleich die Legenden umwobenen und mächtigen Tempelritter parat. Das klingt zwar zunächst nach wilder Spekulation, aber ein unvoreingenommener Betrachter könnte nun ausgerechnet in der heutigen Protestantischen Kirche in Lambrecht auf Hinweise stoßen, die solche Vermutungen unterstützen.

Im Schnee entdeckt: Einsames Templerkreuz im Pfälzer Wald

Die Entstehung des Lambrechter Klosters

Nahe des herrschaftlichen Jagdhauses Grevenhausen gründete Herzog Otto von Worms  Ende des 10. Jahrhunderts St. Lambertus zunächst als Benediktinerkloster. Im Jahre 1065 gelangten Kloster samt Ländereien durch Schenkung des späteren deutschen Kaisers Heinrich IV. an den Bischof von Speyer.

Bereits damals gab es Handelsbeziehungen bis ins Rheinland und Westfalen hinein. Einer zwar unspektakulären, wirtschaftlich aber erfolgreichen Entwicklung des Bischofsbesitzes hätte also nichts im Wege gestanden, wenn nicht Ende des Jahrhunderts die Kreuzfahrerbewegung aufgekommen wäre, die das gesamte Gefüge des Christentums durcheinander wirbeln sollte. Die Kreuzfahrer wollten in der fernen  aber heiligen Stadt Jerusalem christliche Lehre und Herrschaft durchsetzen, - mit Gewalt. Im Heiligen Land entstanden in der Folge für knapp zweihundert Jahre christliche Königreiche, beschützt von einem Orden, der möglicherweise auch in der weiteren Entwicklung des Klosters St. Lambertus eine Rolle spielte, wenn auch nur mittelbar: Der Orden der Armen Ritterschaft Christi vom Salomonischen Tempel, besser bekannt als "Tempelritter". Als Kriegermönche trugen sie den Kreuzzuggedanken zunächst mit, förderten ihn und stellten den schlagkräftigsten Teil der Streitmacht des neuen christlichen Königreichs Jerusalem. Später, 1209, allerdings weigerten sich die Templer, dem Aufruf des Papstes zu folgen und gegen andere Christen, die gnostischen Katharer in Südfrankreich zu kämpfen. Als neues Instrument erfanden die Päpste daraufhin die Inquisition, vereinfacht: Eine Institution zur Verfolgung von Abweichlern innerhalb der Christenheit.

 

Hier kommt der neu gegründete Dominikanerorden ins Spiel, der bald zwei entgegengesetzte Strömungen in sich vereinen sollte: Zum einen wurden die grausamen Verhöre ab 1230 zum großen Teil von Dominikanermönchen ausgeführt.

Andererseits entwickelte sich im Orden Anfang des vierzehnten Jahrhunderts gerade im Raum Konstanz - Straßburg - Köln - Paris eine mystische Strömung, geprägt vom berühmten Meister Eckhardt und seinen Schülern Johannes Tauler und Heinrich Seuse. Betrachten wir heute die Wandgemälde in Lambrecht, so kann zu diesen Mystikern vielleicht auch Zeitgenossin Kunigunde von Fleckenstein (Geburtsjahr unbekannt, Tod 1353) gezählt werden, oberste Dominikanerin in Lambrecht.

Denn als stark anwachsende Organisation hatten die Dominikaner bereits 1244 auch das Kloster Lambrecht von den Benediktinern als Nonnenkonvent übernommen.

Nach dem Chronisten Friedrich Jakob Dochnal verfügt Papst Bonifacius VIII., dass die Nonnen des Lambrechter Klosters auf „alle Besitzungen und Gütern, sowohl schon erworbenen, als auch noch zu erwerbenden, weder ihrem Bischof, noch einem päpstlichen Legaten und Nuntius, sowie auch keinerlei Könige, Fürsten oder weltlichen Person, Steuern, Zehnten, Zölle und dgl. zu errichten haben.“

Ein außerordentliches Privileg, dass zu jener Zeit sonst vor allem nur den Tempelrittern zugestanden wird. Laut der Chronik vermachen vor allem im Dreizehnten Jahrhundert weltliche und geistliche Herren dem Kloster hunderte von Morgen Ackerland, Wiesen und Weinberge. Darunter sind Güter aller namhaften Rittergeschlechter der Gegend, (es werden 22 aufgezählt, ergänzt mit „und viele andere“), vor allen im heutigen Pfälzer Wald und in der Ebene zwischen Haardtrand und Rhein. Die Priorinnen des Klosters betätigen sich als größte Güter- und Landhändlerinnen der Region.

Freitag der 13., die Klosterkirche Lambrecht

und der Heilige Gral

Wie der leider 2014 in Bad Dürkheim verstorbene Kunsthistoriker Clemens Jöckle in seinem Führer durch die heutige protestantische Kirche Lambrecht zeigte, gibt es im Kirchenbau seltsame Eigenheiten, die auf Einflüsse der Templer hindeuten. Da wäre zunächst die „Dämonische Blattmaske“ an der Südseite der Nonnenempore. Sie ist nichts anderes als eine Version des „Grünen Mannes“: Ein Pflanzen umrankter und beblätterter Kopf, der uns von dort wie auch von einer Vielzahl anderer ehemaliger Templerbauten und Kirchen des 12. und 13. Jahrhunderts herab ansieht. Auch im nahen Pfälzischen Burrweiler ist so ein Kopf erhalten geblieben, wahrscheinlich aus der zerstörten Burg Geisberg stammend, wurde er in einer jüngeren Mauer aus dem 16./17. Jahrhundert verbaut. Ist er eine Symbiose des alten heidnisch-keltischen Fruchtbarkeitskultes mit der Verehrung des Hauptes Johannes des Täufers, die den Templern nachgesagt wird? Aus dem Haupt, dem Geist, wächst neues Leben. Dass die Templer in der weiteren Umgebung wirkten, Ländereien und Hospitäler führten, ist belegt: Einmal abgesehen von den Templerbauten des Elsaß und Lothringen: Auch im heutigen Rheinland-Pfalz besaßen sie eine Reihe von Niederlassungen. So befindet sich im Hof Iben bei Fürfeld eine gut erhaltene Templerkapelle. Ein - allerdings nach der Zerstörung im Dreißigjährigen Krieg im 17. Jahrhundert neu aufgebautes - Templerhaus existiert in Bad Breisig, Reste eines Tempelhofes gibt es in Bad Hönningen. Laut Wikipedia "lag die Templerniederlassung Kirchheim nordöstlich des Dorfes, nahe der heutigen Gemarkung von Grünstadt. Zur Zeit ihres Bestehens hieß sie auch „Haus am See“, „Domus de Lacu“, „Laach“, „Seve“ oder „Sewe“."

In Niederheimbach, für Reisende günstig am Rhein gelegen, betrieben die Ritter ein Hospital. Belegt ist auch der Mainzer Tempelhof, der nicht mehr existiert. August Becker schreibt in seiner 1857 erschienenen Monographie, "Die Pfalz und die Pfälzer", der von Lambrecht aus gesehen in unmittelbarer Nähe liegende Herrenhof der Johanniter in Mussbach sei ursprunglich ein Temperitterlhof gewesen. Auch in der Chronk von Neustadt an der Haardt findet sich für das Jahr 1276 ein betreffender Eintrag: “Die Tempelherrn besitzen in Mußbach ein Haus mit vielen Gütern und Gerechtsamen (also Ordensleuten).“

Wie Jöckle in dem Kirchenführer schreibt, entstanden die Wandmalereien von Maria Magdalena und Jesus in der Lambrechter Klosterkirche unmittelbar nach Errichtung des Chores zwischen 1310-1320. Dies ist genau die Zeit der Templerprozesse! Hier nun sehen wir Unerhörtes: Neben Jesus erscheint dort, genauso riesig gemalt wie er, eine atemberaubend schöne Maria Magdalena. Jesus Heiligenschein sieht aus wie ein verdecktes Prankenkreuz, er liest aus der Heiligen Schrift und zeigt auf einen bestimmten Vers (siehe oben). Als bildliche Darstellung ist das eher selten, aber äußerst ungewöhnlich ist vor allem das Bild seiner Zuhörerin und Gefährtin.

Kopf unbekannter Herkunft, Ortschaft in der Nähe von Landau

 

Maria, die Gralsträgerin?

Maria Magdalena wurde seit jeher in Frankreich verehrt. Nach der Legenda aurea (um 1264) soll sie in der Nähe von Marsaille gemeinsam mit der schwarzen Sarah, der Schutzheiligen der Roma und Sinti, gestrandet sein. Sie soll dann 30 Jahre in einer Höhle im Massif de la Sainte-Baume gelebt haben und in Saint-Maximin-la-Sainte-Baume unter der Kathetrahle begraben sein, wo auch heute ihr Schrein steht.

Nicht nur das apokryphe Phillipusevangelium legt nahe , dass sie die Gefährin von Jesus, seine Frau oder Geliebte war.

 

Maria Magdalena hält hier ein Buch vermutlich ebenfalls die Heilige Schrift. Außerdem steht sie in Flammen! Sicher können die Flammen für ihren Heiligenschein und das Leuchten des Geistes stehen. Dies aber würde bedeuten, dass nach Meinung der Auftraggeberin, wahrscheinlich die bereits erwähnte Priorin Kunigunde von Fleckenstein oder ihre Vorgängerin, Maria Magdalena im ungewöhnlich hohem Maße vom Heiligen Geist erfasst gewesen sein musste. Allerdings könnten die Flammen auch ihre eigentliche Bedeutung besitzen: Maria in Flammen, genau wie die Templer auf dem Scheiterhaufen! Denn am 13. Freitag 1307, der als erster Schwarzer Freitag Geschichte machte, wurden auf Befehl des französischen Königs Philipps IV., des „Schönen“, (der aber in seiner Gier nach den Reichtümern des Ordens eine sehr hässliche Seele offenbarte), in ganz Frankreich Templer gefangen genommen. Ihre Ländereien, Besitztümer und ihr Gold fielen an die französische Krone, ihre Organisation wurde zerschlagen, die Verschuldung Philipps bei ihnen gewaltsam getilgt. Der Schirmherr des Ritterordens, Papst Clemens V., der ab 1309 nur noch in Avignon verweilte, verlor im Laufe der folgenden Templerprozesse an Macht und geriet schließlich vollends unter die Kontrolle des französischen Königs. Wahrscheinlich spielten bei Philipps Maßnahmen auch Eifersucht und Rachegelüste eine Rolle, da die Ritter ihn zuvor nicht in den Orden hatten aufnehmen wollen. Unter Folter gestanden viele Templer die ihnen zur Last gelegten Anschuldigungen der Gotteslästerung, Teufelsanbetung und Homosexualität, was selbstverständlich nichts über deren Wahrheitsgehalt aussagt.

Tatsächlich ist mittlerweile belegt, dass Papst Clemens V. die Kriegermönche für unschuldig hielt und nur aus purem Opportunismus an ihrer Verfolgung teilnahm. Templer, die später ihre Geständnisse widerriefen und den Orden vor der päpstlichen Untersuchungskommission verteidigten, wurden dennoch als rückfällige Ketzer in den Flammentod geschickt: Am 12. Mai 1310 wurden 54 Templer in Paris verbrannt. Der Orden wurde 1312 aufgelöst, 1314 auch sein Großmeister Jacques de Molay auf dem Scheiterhaufen ermordet. Um diese Zeit entstand, wie gesagt, auch das Bild von Maria Magdalena in der damailigen Klosterkirche. Bemerkenswert, dass dem Betrachter, der vor dem Chor steht, zur linken Hand Maria in Flammen entgegentritt, rechter Hand aber alle wichtigen Stationen ihres Wirkens dargestellt werden. Eine ganz ähnliche Bildgeschichte aus dem frühen 13. Jahrhundert lässt sich noch heute auf einem von der Zunft der Wasserträger gestifteten eingebauten Fenster in der gotischen Kathedrale von Chartres bewundern! Besonders der Bau in Chartres, aber auch insgesamt die atemberaubend umfangreiche und energische Errichtung der Gotischen Kathedralen im 12. und 13. Jahrhundert, wird mit der Tätigkeit des Tempelordens in Verbindung gebracht. Möglicherweise dienten die Bilder des Kathedralenfensters dem Künstler in Lambrecht als Vorlage. Oder sollte es nicht eher „Künstlerin“ heißen? Die Urheberschaft einer oder mehrerer begabter Nonnen des Konvents ist möglich. Jedenfalls wird Magdalenas Leben sehr lebendig dargestellt, angefangen bei dem Mahl mit Simon, wo sie als die Frau identifiziert wird, die dem Heiland die Füße küsst, wäscht, mit ihren Haaren trocknet und schließlich mit wertvollem Öl salbt. Eine Handlung, die Jesus als Herrscher und kommenden König Israels ausweist. Als zweites Bild das „Noli me tangere!“ , „Berühre mich nicht!“, vor dem offenem Grab: Niemand anderes als Maria Magdalena ist es, die dem auferstandenen Jesus nach der Kreuzigung zuerst begegnet! Leider hat der Restaurator des späten 19. Jahrhunderts diese beiden Bilder größtenteils zerstört. Auf einem weiteren Bild wird Maria Magdalena von Engeln in den Himmel erhoben. Das passt zu den bereits erwähnten Legenden, nach denen Maria Magdalena nach der Kreuzigung in Südfrankreich wirkte, - zusammen mit Sara der Ägypterin, sowie Marias beiden leiblichen Geschwistern Martha und Simon Lazarus (der gleiche, den Jesus von den Toten erweckt hatte). Zuletzt soll sie wie auf dem Gemälde in der St.-Jakobs-Kirch´beim Weiler St. Jakob in St. Ulrich in Gröden zu sehen ist, in einer Höhle gelebt haben, wo sie Engel nährten und kleideten, auch diese Episode wurde in Lambrecht gemalt (siehe Bild unten).

Warum Maria Magdalena?

Warum nimmt Maria Magdalena im Kunstwerk überhaupt diesen wichtigen Platz ein? Offensichtlich war sie für die Nonnen ein Vorbild und symbolisierte die Heiligkeit des Weiblichen inmitten einer kriegerischen, hauptsächlich von Männern bestimmten Welt. Und ist es da wirklich Zufall, dass ausgerechnet der Helmzier des Rittergeschlechts der von Fleckenstein, der Familie von Priorin Kunigunde, eine schöne Frau mit Hörnern als Armen darstellt? Verschmelzungen vorchristlicher Gottheiten mit christlichen Heiligen lassen sich überall in Europa beobachten. Und genau im germanisch-gallischen Grenzraum wurde einst die gallische Göttin Rosmerta verehrt. Ihr Name wird entweder als „die Gesalbte“ gedeutet oder als „Versorgerin“, sie gilt als verwandt mit der römischen Göttin Fortuna. Als ihre Nachfolgerin passt nur zu gut die schöne Maria Magdalena, die von Engeln umgeben ist.

Auch in der mittelalterlichen Stiftskirche im nahen Neustadt (Weinstraße) wurde Maria Magdalena verehrt, wie dieses erst vor wenigen Jahren wiederentdeckte und freigelegte Wandgemälde beweist.

 

 

Die große Rolle, die Magdalena in Lambrecht spielte, ist  durch die Gründung des Ordens der "Magdalenerinnen" als Gemeinschaft für ehemalige Prostituierte um 1224 in Worms zu erklären, offiziell Poenitentes sorores Beatae Mariae Magdalena, Reuige Schwestern der Seligen Maria Magdalena.

Praktisch sofort, nämlich 1227, erhielt der Orden seine Bestätigung durch Papst Gregor IX., ab Mitte des Jahrhunderts nahmen die Konvente außer den „Reuerinnen“ auch andere Frauen auf. Von Worms und Speyer aus, wo zu jener Zeit ebenfalls ein Magdalenenkloster entstand, ist eine Verbindung nach Lambrecht nachgewiesen. Eintrag in der Neustadter Chronik 1282: „Das Kloster in Lambrecht unter der Priorin Gutelina, genannt „de fine“ (wie seltsam), steht unter der Aufsicht des Dominikanerklosters in Speyer.“

Verwirrend ist nur: Was die Bilder in der Kirche betrifft, wird eben nicht auf die ohnehin strittige Identifizierung Maria Magdalenas mit der Ehebrecherin verwiesen, die sie vielleicht auch herabwürdigen sollte. Im Gegenteil zeigen die Bilder Maria als strahlende Heilige.

Der Kopf eines römischen Ritters

spricht nach seinem Tod!

Wie passt es nun dazu, dass in der Mitte der Chorbilder die Legende vom Heiligen Quirinus zu sehen ist? Quirinus und seine ebenfalls dargestellte Tochter Balbina sind christliche Märtyrer aus Rom, die im 2. Jahrhundert unter Kaiser Hadrian hingerichtet wurden. Einer Legende nach schenkte Papst Leo IX. um 1050 die sterblichen Überreste des Heiligen seiner Schwester Gepa, Äbtissin zu Neuss. Die Reliquien werden auch heute noch in der Stadt im von 1209 bis 1250 eigens dafür erbauten Quirinusmünster aufbewahrt. Dort wird St. Quirin als römischer Soldat mit einem Schild mit neun goldenen Sternen auf rotem Grund dargestellt. Neun, die magische Zahl, soll der Stadt Neuss ihren Namen gegeben haben. Sie begegnet uns auch als Anzahl der Ritter, die den Templerorden um 1118 in Jerusalem gegründet haben sollen.

Der als Tribun bezeichnete römische Soldat Quirinus kam unter eigenartigen Umständen zum Glauben, denn er war Wächter des eingekerkerten Alexanders, des fünften Nachfolgers des Petrus. Es heißt, Alexander habe Quirinus kranke Tochter Balbina geheilt, als sie seine Ketten berührte. Inmitten der Lambrechter Darstellung der damals populären Quirinus Geschichte wurde nun unübersehbar und bestimmend ein Prankenkreuz gemalt. Dieses Kreuz kennzeichnete, wie das noch öfter verwendete Tatzenkreuz, die Templer, so auch ab März 1319 deren Nachfolgeorganisation in Portugal, den Orden der Christusritter!

Zurück zu Quirinus: Ob er Alexander befreite, oder ob auch dieser frühe Papst den Märtyrertod starb, ist umstritten. Der Legende nach wurden der Soldat und seine Tochter eingesperrt, gemartert und enthauptet, weil sie sich zum Christentum bekehrt hatten. Sie waren also ebenso unschuldig Verfolgte wie die Templer. Brauchtum und Erzählungen um Quirinus weisen noch weitere Beziehungspunkte mit dem Geschehen um den Templerorden auf: Zum einen ist ausgerechnet er Schutzheiliger der Ritter! Dann besagt christlicher Aberglaube, dass jeder genesen werde, der oder die in Neuss Wasser aus seiner Schädeldecke trinke. Zum anderen wurde einer weiteren Legende nach seine vom Kopf abgeschnittene Zunge, mit der er die Wahrheit gesprochen hatte, von den Tieren des Waldes nicht angerührt und blieb unversehrt.

Quirinus Enthauptung, das magische Wasser aus seiner Schädeldecke: Es gibt kaum eine geeignetere Geschichte, um den geheimnisvollsten Kult der Templer aufzugreifen und zu rechtfertigen: Den bereits erwähnten Kult, den sie um Köpfe führten.

In Templerbauten finden sich nämlich nicht nur wiederholt, wie in Lambrecht, Darstellungen des Grünen Mannes, sondern auch ungezählte andere steinerne Köpfe, darunter der berühmte Baphomet Kopf in der Festung Tomar in Portugal, einer der wichtigsten Templerburgen. Bei alldem geht es besonders um Heilige, die die Wahrheit bezeugten und doch ihre Köpfe verloren. Nicht nur wie Quirinus, sondern vor allem wie Johannes der Täufer, der wichtigste Prophet der Templer, dessen Figur auch als Schlussstein in der Lambrechter Kirche dargestellt ist...

Grüner Mann / Baphomet Kopf im nahen Burrweiler, vielleicht aus der nicht mehr vorhandenen Burg am Geisberg

 

 

Ein übersehenes Zeugnis der Templerprozesse?

Es erscheint durchaus möglich, dass entweder Dominikanerin Kunigunde von Fleckenstein selbst, oder einige ihrer Verwandten in die Templerprozesse verwickelt waren. Ob Ritter aus dem einflussreichen Geschlecht der Fleckenstein, deren Stammburg im französischem Wasgau an der Grenze zum Pfälzer Wald liegt, selbst zum Orden gehörten, ist mir nicht bekannt. Die Gräber Heinrich von Fleckensteins und seiner Frau in der Kirche belegen aber die enge Verbindung des Lambrechter Klosters nach Frankreich, dem Stammland der Templer. Als Priorin des Klosters kam Kunigunde wahrscheinlich ohnehin mit den regen Händlern und Reisenden des Ordens in Kontakt. Zumal bis zur Schenkung an die Johanniter Ende des 13. Jahrhunderts möglicherweise der nahe Herrenhof in Mussbach zumindest in Teilen den Templern gehörte. Vielleicht wurde sie so von der oben beschriebenen „ketzerischen“ Wahrheit überzeugt, die dem Orden nachgesagt wird. In dem Fall wird Kunigunde die Templer wohl auch für unschuldig gehalten haben. Sie stünde damit beileibe nicht allein:

Wie unter anderem im Internationalen Templerlexikon nachzulesen ist, drangen Mitte Mai 1310, zwanzig schwerbewaffnete Tempelritter in die Synode von Mainz ein und beteuerten den anwesenden Bischöfen ihre Unschuld. Tatsächlich wurde ihnen daraufhin eine eigene Untersuchung zugesagt, die am 1. Juli 1311 mit Freispruch endete! Nach der offiziellen Auflösung ihres Orden durch den Papst im folgendem Jahr wurden die Templer hierzulande von den Johannitern und Deutschrittern mit offenen Armen aufgenommen! Als Dominikanerschwester mit verwandtschaftlichen Bindungen nach Elsass-Lothringen konnte die junge Priorin Kunigunde diesen Ereignissen nicht teilnahmslos gegenüber gestanden haben. Möglicherweise, wenn sich die Datierung ins frühe 14. jahrhundert bestätigen lässt, hat sie durch die Anordnung der Wandgemälde das Geschehen bis ins Detail genau der Nachwelt übermitteln lassen:

Maria Magdalena empfängt von Jesus die Wahrheit aus der Bibel. Templer erkennen, wie einst Quirinus, die Zusammenhänge, in diesem Fall über Maria Magdalena und verlieren deshalb wie er ihre Leben. Letztlich geht es wohl um die Gleichrangigkeit der Maria Magdalena mit Jesus, die zusammen ein göttliches Paar bilden sollen. Dies wäre in der allgemeinen Religionsgeschichte nichts Neues: Die ägyptischen Isis und Osiris, oder die sumerischen Inanna und Dumuzi sind andere berühmte Beispiele.

Mittelalterlicher Markierungsstein des Mußbacher Herrenhofes

Meine Absicht ist es, verschiedene Puzzleteile aus einer fernen Vergangenheit zusammenzutragen, die erkennen lassen, was damals geschehen sein mag.

Wenn mehr als zwei - und hier passen meiner Meinung nach eine ganze Reihe – ein stimmiges Bild ergeben, lässt sich etwas erkennen. Natürlich kann es sein, dass Puzzelteile falsch angelegt werden, oder das Bild insgesamt überhaupt nur noch verschwommen wiederhergestellt werden kann. Dennoch möchte ich zum Schluss fragen: Ist es wahrscheinlich, dass eine Organisation wie die Templer, die fast zweihundert Jahre zur mächtigsten und reichsten der Christenheit zählte, ohne Widerspruch und Hilfe ihrer Parteigänger einfach so von der Bildfläche verschwindet? 

Ist es nicht im Gegenteil zu erwarten, dass es noch mehr Menschen, als die bisher bekannten gibt, die für sie Partei ergriffen und Zeugnisee hinterlassen haben?

Sicher, was ich hier vorbringe, sind Hinweise, keine eindeutigen Beweise, dennoch schlussfolgere ich, dass die Wandgemälde in der Lambrechter Kirche bis heute übersehene Zeugnisse geheimer Überlieferungen über die Gleichrangigkeit Maria Magdalenas mit Jesu sein können und zudem wahrscheinlich eines der dramatischsten Ereignisse des Mittelalters zum Thema haben:

Die Zerschlagung des Tempelordens.

 

 Oliver Steinke 2015

 

 

 

Literatur

Clemens Jöckle: Lambrecht, Protestantische Kirche, Verlag Schnell München 1986 Friedrich J Dochnahl, Karl Tavernier, Wolfgang Krapp: Chronik der Stadt Neustadt an der Haardt: Mit Registern von Johannes Weingart u.a., Stiftung pfälzische Geschichtsforschung, Neustadt an der Weinstraße 2010

Otto Wimmer, Hartmann Melzer: Lexikon der Namen und Heiligen, Nikol Verlag 2002
Dieter H Wolf: Internationales Templerlexikon, Nikol Verlag 2010
Martin Bauer: Die Tempelritter - Mythos und Wahrheit, Nikol Verlag 2002
Jürgen Sarnowsky: Die Templer, C.H. Beck Wissen, 2009
Fotos der Wandgemälde aus der ehemaligen Klosterkirche Lambrecht, Maria
Magdalena von Engeln gekleidet, Geschichte des heiligen Quirinus, Maria Magdalena in Flammen
Druckversion | Sitemap
Text und Fotos by Oliver Steinke, alle Rechte vorbehalten!