Fragarias - Green man from Gudhem

Eine Kirche wie aus einem Traum von Michael Baigent

Die alte Johanneskirche des romantischen Pfälzer Weinortes Mußbach birgt viele Geheimnisse

Fast noch rätselhafter als die mittelalterlichen Bilder, die durch außerordentliches ehrenamtliches Engagement im Chor der alten Johanneskirche restauriert werden konnten, erscheint mir, dass es so wenig Reaktionen aus der Fachwelt gibt. Ein Grund könnte sein, dass die Funde nicht in die gängigen historischen Erklärungen passen und eher Verbindungen zu ketzerischen und esoterischen christlichen Strömungen vermuten lassen.

 

Mein Artikel darüber erschien am 24.Oktober 2017 in der Rheinpfalz (jetzt Archiv)

 

 

Auszüge

 

Die Kirche verbarg Gemälde über Jahrhunderte

 

Trotz des Wissens, dass die im 14. Jahrhundert entstandenen und im 16. Jahrhundert unter dem bilderstürmerischen Putz verschwundenen Wandgemälde existierten, verbarg die Kirche die Bilder über Jahrhunderte, bis die sechs stark beschädigten Gemälde in den Neunzehnhundertsechziger Jahren freigelegt und dann 1993 im Rahmen eines Bundesforschungsprojekts („Erhaltung historischer Wandmalereien“) durch die Fachhochschule Köln näher untersucht wurden. Es sollte noch ein Vierteljahrhundert dauern, bis das erste von ihnen grundrestauriert wurde. Denn erst um die Jahrtausendwende begannen die Pläne für eine Restauration in katholischer und evangelischer Kirche sowie im Förderverein Herrenhof konkreter Gestalt anzunehmen. 2007 wurde der Chor zusammen mit dem Turm und dem umgebenden Kirchengelände der evangelischen Kirche kostenlos übertragen, um die einzigartigen Bilder und Skulpturen so gut wie möglich wiederherzustellen zu können.

 

Juwelen der Hochgotik

 

Der Stil der spektakulären Wandbilder entspricht ganz dem Züricher Codex Menasse (1300-1340), der heute in der Universitätsbibliothek Heidelberg aufbewahrt wird und als die umfangreichste Sammlung mittelhochdeutscher Lied- und Spruchdichtung zu den wichtigsten Büchern des europäischen Mittelalters zählt. Obwohl sie stark beschädigt sind, kann man, flankiert von ihren Erklärungen auf Spruchbändern, den Zug der heiligen drei Könige zu dem Jesuskind erkennen; Melchior und Baltasar sitzen dabei auf Pferden, Kasper hingegen reist auf einem Kamel. Auf dem einzigen bisher grundrestaurierten Bild kniet er mit Opfergaben vor Jesus und Mutter Maria (....)  Mehrere Teile der Bilder fünf und sechs, die Türme, Bäume, Heilige oder Engel zeigen, sind noch nicht genug erforscht, um endgültige Urteile über die Szenen fällen zu können, sehr wahrscheinlich beinhalten sie aber als ein Element Jesus als Zwölfjährigen im Jerusalemer Tempel. (...)

Insgesamt besitzt Neustadt und Umgebung in seinen Kirchen in Mußbach, Hambach, der Stiftskirche und Winziger Kirche sowie der Lambrechter Klosterkirche eine vielleicht einmalige Konzentration mittelalterlicher Wandgemälde in Deutschland. Leider sind dabei die verantwortlichen Künstler genauso wenig bekannt wie die vier Maler des Codex Menasse, doch ist man noch nicht am Ende der Forschungen angelangt.

So stelle sich heraus, dass die erste Bauphase der Johanneskirche um das Jahr 1320 begonnen haben musste, also mehr als ein halbes Jahrhundert früher als bisher angenommen und übrigens genau zu der Zeit als auch die ersten Gemälde im Chor der Lambrechter Klosterkirche mit ihren ebenfalls einzigartigen Wandmalereien von Maria Magdalena entstanden.

 

Die Templer in Mußbach?

 

Vieles bleibt geheimnisumwittert, so die Frage, ob auch die Templer, ein kriegerischer Orden von Mönchrittern, der in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts zum Schutz des christlichen Königreichs Jerusalems gegründet wurde, wirklich in Mußbach wirkten, wie das für das Jahr 1276 in der 1876 veröffentlichten Chronik Neustadts von Jakob Dochnahl angegeben wird. Unstrittig ist, dass die Johanniter Herrenhof und Kirche über ihre Komturei Heimbach erhielten und zwar nicht wie oft anderen Orts als Erbe der Templer durch die Zerschlagung deren Ordens 1312, sondern durch Schenkungen der Ritter Werner von Ramberg 1290 und Gerhard von Mußbach 1297, der sich dabei nebenbei gesagt eine Rente für sich und seine sechs Töchter ausbat. Ebenfalls unstrittig ist die Existenz einer Basilika als Vorgängerbau der Johanneskirche, aus der auch die gut erhaltene Tür der Sakristei stammt. Ihr (...) untersuchtes Holz datiert auf 1263-1275 nach Christus. Zudem wurde bei den Restaurierungsarbeiten eine phänomenale mittelalterliche steinerne Altarplatte gefunden, deren Weihekreuze eher Templern als Johannitern zuzuordnen wäre. Da der Gebrauch der Kreuzformen jedoch variierte, gibt es dennoch nach wie vor keine eindeutigen Beweise für oder gegen Templer in Mußbach, zu hoffen ist hier auf die Entdeckung von neuen Quellen aus dem vor Ort weitgehend nicht dokumentierten 12. und 13. Jahrhundert. Doch die Templer sind nicht das einzige Rätsel dieser Kirchengeschichte, nicht weniger geheimnisvoll sind die Skulpturen der Kopfkonsolen, die die Pfeiler tragen. Eine kann als Johannes der Täufer gedeutet werden, aber wer ist die königliche Frau an seiner Seite? Vor allem aber, wie kann es sein, dass der Großteil der Konsolensteine in der Johanneskirche künstlerisch beeindruckende Blattmasken darstellen? Sicher, die Hochgotik gilt als die Epoche, in der die Gesichter, die aus dem steinernen Laub blicken, zur vollen Blüte gelangten, trotzdem dürfte eine solche Konzentration in einer dann doch relativ kleinen Kirche einzigartig sein. Die hier gezeigte Qualität der hervorragend restaurierten, fast wie neu wirkenden Gesichter, die im Volksmund „grüne Männer und Frauen“ genannt werden, wird in Deutschland selten erreicht, zu nennen wäre dabei höchstens die Blattmaske am Sockel des Bamberger Reiters.

 

Grüne Männer und Frauen geben Rätsel auf

 

Gesichter mit Laubkronen oder Bärten gibt es spätestens seit der Antike, besonders die Kelten, für die der Kopf der Ursprung des Seins bedeutete, schufen solche Skulpturen. So findet sich auf der aus dem 4. vorchristlichen Jahrhundert stammenden „Pfalzfelder Säule“ im Hunsrück ein Kopf mit einer Blattkrone, die wahrscheinlich Mistelblätter darstellt. Obwohl diese Skulpturen in ihren Ursprüngen und in ihrer Naturverbundenheit heidnisch und schamanischen Ursprungs sind, entwickelten auch Christen einen positiven Bezug zu ihnen. So schrieb keine geringere als die vom Papst Benedikt XVI. 2012 heilig gesprochene und zur Kirchenlehrerin erklärte Äbtissin Hildegard von Bingen in ihrer zweiten Visionsschrift „Welt und Mensch“:

 

„Wie die sprossende Grüne der Erde will ich wirken!“

 

Von der Forschung bisher kaum beachtet, gibt es weitere solche Blattmasken in unmittelbarer Nähe, so nämlich der „Kopf von Burrweiler“ heute in einer Weingutmauer des südpfälzischen Ortes eingebaut, aber wahrscheinlich von der untergegangen Burg am Geisberg stammend, sowie mutterseelenallein im Wald nahe der Straße von Bad Dürkheim nach Kaiserslautern als Schlussstein eines Torbogens, der als einziges Fragment von der „Burgruine Schlosseck“ aus dem 12. Jahrhundert übrigblieben ist.

Heute reiht sich auch der Bauverein des Chors der Johanneskirche in die Tradition der Natur als Ort der Gottesverehrung ein, denn er plant in den nächsten Jahren den östlichen Kirchgarten als Garten mit biblischen Pflanzen und den Kräutern der heiligen Hildegard zu nutzen. Es könnte keinen besseren Ort geben, um an die Prophetin der „Viriditas – Grünkraft“ zu erinnern, wie Hildegard die höchste Schöpfungskraft nannte.

 

Druckversion | Sitemap
Text und Fotos by Oliver Steinke, alle Rechte vorbehalten!